Werdegang des Nicolas Mathieu Rieussec
Mit großer Freude konnten Joseph Rieussec und Jeanne Michateau, seine Ehefrau, am 20. Juli 1781 die Geburt ihres zweiten Sohnes Nicolas Mathieu Riessec verkünden. Schon drei Tage später ließen sie ihn auch in der Pfarrgemeinde Sainte-Marie du Temple taufen. Keine Belege gibt es indessen für die Vermutung, dass besagter Junge am 1. September 1781 in Toulouse das Licht der Welt erblickt habe.
Wenig bekannt ist auch zur Kindheit und Ausbildung des Jungen. Die Lehre zum Uhrmacher erfolgte in der Rue du Marché-Palu 14 auf der Pariser Ile de la Cité. 1810 findet sich schließlich auch der Name unter den insgesamt 222 Pariser Uhrmachern. Seinem Handwerk ging Nicolas Mathieu Rieussec anfangs genau dort nach, wo er auch seine Ausbildung genossen hatte. Ab 1817 betrieb er in der Rue Notre-Dame-des-Petits-Champs 13 ganz nebenbei auch eine Wechselstube. Ungeachtet dessen waren seine handwerklichen Qualifikationen wohl über jeden Zweifel erhaben. Das bestätigt die urkundliche Ernennung zum Hofuhrmacher am 31. Januar 1817.
Indessen sollte man sich von diesem Titel nicht allzu sehr blenden lassen, denn „Uhrmacher des Königs“ war in erster Linie ein Ehrenamt, welches noch keine regelmäßigen Aufträge versprach. Neben Rieussec gab es in Paris schließlich noch fünf weitere Hofuhrmacher: Lamygonge, Lepaute, Lépine, Leroy und Robin.
Mit der Auszeichnung besaß es jedoch tiefere Bewandtnis: In den Jahren 1815 und 1816 oblag Nicolas Mathieu Rieussec die Wartung der Uhren im Depot der königlichen Residenzen.
Gleichwohl hatte es mit der Auszeichnung eine tiefere Bewandtnis: In den Jahren 1815 und 1816, in denen Nicolas Mathieu Rieussec die Wartung der Uhren in jenem Depot oblag, welches die Möbel und Kunstwerke zur Ausstattung der königlichen Residenzen verwaltete, bat der ambitionierte Handwerker im Jahr 1817 darum, diese lukrative Aufgabe auch weiterhin übertragen zu bekommen.
Ein entsprechendes Schreiben ging an Marc-Antoine Thierry, Baron de Ville d’Avray und Superintendent des Königlichen Möbeldepots. Doch obwohl seine Leistung nicht zu wünschen hatte, musste Rieussec ein ganzes Jahr auf die erlösende Zusage warten.
Kreation des ersten Zeitschreibers
Zu den definitiv fruchtbarsten Jahren im Leben Rieussecs gehörten jene nach 1820. Am 1. September 1821 begab sich der Uhrmacher zum Pariser Marsfeld. Das tat er jedoch nicht als Besucher der vier Pferderennen des Seine-Arrondissement. Vielmehr hatte der findige Uhrmacher an einer besonderen Erfindung gearbeitet und nun seinen neuen Chronographen in der Praxis testen.
Dabei hatte der junge Nicolas Mathieu nicht nur die Zeit der Sieger im Auge, sondern auch die der anderen Pferde, welche die Ziellinie passierten. Die chronographische Aktivität in diesem Stadtbezirk verdankte er seinem älteren Bruder, einer wichtigen Persönlichkeit im elitären Zirkel des französischen Reitsports. Durch ein königliches Dekret hatten Pferderennen nämlich am 31. August 1805 ihre Salonfähigkeit erlangt. Im Laufe der folgenden Jahre gewannen sie so zunehmend an Popularität.
In diesem Umfeld konnte der Uhrmacher den von ihm erfundenen Rieussec Chronographen adäquat einsetzen und letztendlich auch vermarkten. Schließlich stellte die Ermittlung der Zeiten aller Rennteilnehmer im frühen 19. Jahrhundert noch eine schwierige Herausforderung dar.
Logischer Weise begleitete Rieussec an besagtem Tag neben seinen neuartigen Zeitschreibern auch reichlich Lampenfieber. Prominente Persönlichkeiten, darunter Graf Joseph Jérôme Siméon, der Staatssekretär im Innenministerium, und Gaspard de Chabrol, Präfekt des Stadtbezirks Seine waren zum Marsfeld gekommen. Letzterer hielt seine schützende Hand über den Erfinder. Bereits am Rennplatz beglückwünschte der Vertreter des Ministeriums Nicolas Mathieu Rieussec zum neuartigen Apparat. Lobende Worte für den neuartigen Chronographen fand auch die mit der Prüfung vor Ort beauftragte Jury, denn das Gerät ließ sich komfortabel, präzise und fehlerfrei handhaben.
Bezugnehmend auf den Abschlussbericht von Antoine-Louis Breguet und Gaspard de Prony, Ingenieur, Mathematiker und Mitglied des Längengrad-Ausschusses, erkannte auch die Königliche Akademie der Wissenschaften den so genannten Sekunden-Chronographen am 15. Oktober 1821 offiziell an.
Damit würdigte sie eine Erfindung, welche „die Dauer mehrerer aufeinander folgender Ereignisse anzeigt, ohne dass der Beobachter sich von seiner Beobachtung abwenden muss, um den Blick auf ein Zifferblatt zu werfen oder sich auf den Ton eines Zeitsignals oder der Schwingung einer Unruh zu konzentrieren. … Ein Chronograph mit solchen Eigenschaften ist ohne Zweifel eine große Hilfe für Physiker, Ingenieure und alle anderen, die sich mit der Messung zeitlich ablaufender Ereignisse beschäftigen.“
Die Französische Akademie der Wissenschaften blickte beim Begutachten des Rieussec’schen Apparats, dessen Innenleben die Wissenschaftler so gut wie nicht interessierte, auch über den Tellerrand hinaus. Ein derartiger Chronograph sei auch ein wertvolles Hilfsmittel für Ärzte, Ingenieure und alle, die Zeitintervalle stoppen müssten. Das Verwendungsspektrum könne sich auf eine Vielzahl von Beobachtungen erstrecken, auf die Prüfung beweglicher Maschinen, auf das Ausmessen fließenden Wassers und andere hydraulische Vorgänge. Selbst Astronomen hätten Vorteile beim Beobachten von Sterndurchgängen im Fadenkreuz eines Teleskops.
Wir sind der Auffassung, dass Herrn Rieussecs Chronograph die Anerkennung der Akademie verdient.
Nicolas Mathieu Rieussec: Der Kampf ums Patent
Unter Beifügung der anerkennenden Dokumente beantragte der junge Uhrmacher und Erfinder Rieussec unverzüglich beim Innenministerium ein Patent für seine Erfindung, welche es von Anbeginn in zwei Ausführungen gab: Diejenige, welche sich im Rahmen des Pferderennens bewährt hatte, und das an die Akademie der Wissenschaften gesandte Instrument. Gleichwohl fiel das Resultat der Begutachtung durch den beratenden Patentausschuss am 22. Dezember ernüchternd aus.
Obwohl der Rieussec Chronograph durchaus vorteilshaft wäre, sei die Fähigkeit, Zeitintervalle durch Tintenmarkierungen auf einem rotierenden Zifferblatt festzuhalten, aber prinzipiell nicht völlig neu. Analogien gäbe es bereits bei Barographen.
Ein weiterer Mangel bestehe darin, dass sich die Tinte verdicken könne und die Schreibflüssigkeit von Zeit zu Zeit nachgefüllt werden müsse. Schließlich kreidete man Rieussec die hohen Kosten und auch die Tatsache an, dass sein Gerät die Uhrzeit nicht darzustellen vermöge. Somit könne, abgesehen von Sonderfällen wie beispielsweise Pferderennen, jede Uhr mit Sekundenzeiger prinzipiell die gleichen Aufgaben wahrnehmen. Ein kostenloses Patent, das sich naturgemäß nur auf außerordentlich wichtige Erfindungen beziehe, käme daher nicht in Betracht.
Aber die letzten Worte waren damit keineswegs gesprochen. In der Folge setzten sich wichtige Fürsprecher für Rieussec ein. Somit gelangte der Ausschuss am 2. März 1822 schließlich doch noch zu einem positiven Resultat. Eine Woche später traf das ersehnte Fünfjahrespatent ein. Selbiges bezog sich auf „einen Zeitmesser oder Wegzähler, genannt Sekunden-Chronograph, der die Dauer mehrerer aufeinander folgender Ereignisse anzeigt, ohne die Aufmerksamkeit des Beobachters abzulenken“.
Der Chronographen-Stopper verfügte über ein rotierendes Zifferblatt mit 60-Sekunden-Skala. Folglich drehte es sich einmal pro Minute um seine Achse. Per Fingerdruck markierte eine Schreibspitze den emaillierten Ring mit Farbpunkten. Jeweils einen für die nacheinander durch Ziel gehenden Pferde.
Die Achillesferse: Jede Messreihe bedingte die anschließende Reinigung. Infolge der Unruhfrequenz von stündlich 18.000 Halbschwingungen stoppte Rieussecs Gerät auf die Fünftelsekunde genau. Und ein digitaler, durch ein kleines Fenster ablesbarer Totalisator erfasste Intervalle bis zehn Minuten.
Das rechteckige Pfeiler-Uhrwerk mit den Dimensionen 112 x 85 x 58 Millimeter und ca. 45 Minuten Gangautonomie hatte der Meister mit einer Zylinderhemmung ausgestattet und mit einem eleganten Holz-Etui umgeben.
Hier erzählt der Uhrenkosmos an dieser Stelle, wie der Zeitschreiber in die Tasche fand und schließlich ans Handgelenk fand – bis hin zu den heutigen Montblanc Rieussec Modellen.
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