Ist guter Rat teuer?
Für gewöhnlich tröste ich mich über vergangene 911er Zeiten und die regelmäßigen Probleme bei der Pflege klassischer Armbanduhren hinweg, indem ich mir vor Augen halte, wieviel dankbarer doch meine Leidenschaft für klassische Armbanduhren ist. Man kann viel mehr davon besitzen, sie werden nicht schlecht, wenn sie im Safe lagern und behalten ihren Wert, wenn man die richtigen gekauft hat.
In einem Punkt ist die Autopassion aber definitiv überlegen. Für den Besitzer eines Oldtimers ist es leicht eine Garage zu finden, die sich fachmännisch um das Fahrzeug kümmert und es gibt auch keine Knappheit an Ersatzteilen.
Für den feinmechanisch unerfahrenen Uhrenliebhaber sieht die Welt da anders aus. Fällt einmal ein Zeiger ab oder dreht die Aufzugswelle durch, kann der gute Rat sehr teuer werden. Bemüht man den Uhrmacher am Soforthilfetresen des Konzessionärs zu oft, wird der sich fragen ob der gebotenen Kulanz auch ein konkretes Geschäft mit Neuware gegenübersteht. Der lokale Händler ohne Konzession kommt wiederum selten in Frage, weil das Risiko unsachgemäßer Behandlung zu groß ist oder weil Reparaturen an nicht geführten Marken konsequent abgelehnt werden.
Uhren wegen kleinerer Probleme einem kompletten Service zu unterziehen, belastet das Budget unverhältnismäßig oder ist schlicht nicht möglich. So stellt man bei Rolex den routinemäßigen Service für Uhren, die älter als 20 Jahre sind ein. Sonst wäre die Flut an Wartungen bei einer jährlichen Produktionsmenge von mittlerweile 1 Million Uhren wohl kaum mehr zu bewältigen.
Geht man schließlich den Weg über das spezialisierte Atelier in Genf, winken lange Wartezeiten und hohe Kosten, ohne dass Wertsteigerungen garantiert sind.
Zu einer schönen Sammlung gehört also ein Uhrmacher, der die Leidenschaft teilt, der kompetent ist und Zeit hat, wenn man ihn braucht.
Georg Kramer
Als ich vor einigen Wochen auf Heimatbesuch in Hamburg war und durch Winterhude schlenderte hatte ich von all dem nichts im Kopf. Natürlich habe ich es mir angewöhnt, jedes Uhrenschaufenster zu inspizieren, obwohl sich gefühlt nur noch selten Schnäppchen finden lassen.
Tatsächlich lag aber im Fenster eines unscheinbaren Geschäftes ein Exemplar des ebenso seltenen wie schönen Rolex Chronographen Referenz 6238! Umgehend versuchte ich mir Zugang zu verschaffen, aber an der verschlossenen Ladentür fand sich nur ein Zettel mit einer Telefonnummer. Entgegen meinem Impuls die Sache wegen meiner begrenzten Zeit in Hamburg auf sich beruhen zu lassen, vereinbarte ich einen Termin für den nächsten Tag.
Eine gute Entscheidung. Im Geschäft warteten lauter Dinge, wie wir sie lieben: Vitrinen mit vielen schönen Vintage Armbanduhren und Werbematerialien großer Marken aus vergangenen Zeiten. Im Regal hinter dem Verkaufstresen der Rolex Ersatzteilkatalog ‚R5‘ und weiter oben zwei Kienzle Weltzeituhren aus den 1960er Jahren.
Am meisten genoss ich aber das Gespräch mit Herrn Yavuz, der vollkommen frei von dem Hochmut war, den Uhrmacher oft gegenüber vermeintlichen Laien an den Tag legen. Es stellte sich heraus, dass sein Lehrmeister und Besitzer des Geschäftes – Georg Kramer – in den 1950er Jahren bei Rolex in Genf angestellt war. Damit war er einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen des späten Hans Wilsdorf, des visionären Gründers von Rolex!
Pflege klassischer Armbanduhren
Ich beschloss um ihn kennenzulernen sofort einen weiteren Besuch in Hamburg zu planen. Meister Kramer kam dann eloquent und ebenso frei von Allüren wie sein Geselle daher. Er erzählte mir, wie er 1948 mit 14 Jahren seine Lehre in Idstein im Taunus begann und sie als Landesbester in Hessen abschloss. Seinen Uhrmacher Meisterbrief erwarb er danach an der Uhrmacherschule in Hamburg.
Bei Rolex in Genf gingen die Geschäfte Mitte der 1950er Jahre ausgezeichnet. Mit der Vorstellung der „Toolwatches“ Rolex Explorer, Submariner und GMT waren es formative Zeiten und der Gründer beschenkte sich selbst zu seinem 75. Geburtstag mit der Einführung der Präsidentenuhr Rolex Day-Date.
Fähigen Uhrmachern standen damals die Türen offen und mit seinem Rolex Arbeitsvertrag fand Kramer in Genf sofort eine Wohnung. Sein Arbeitsbereich war die „Rhabillage“, also die Reparatur und Revision. Man kann sich vorstellen, welche Klassiker durch seine Hände gingen und natürlich war man in Genf damals wie heute einem absoluten Qualitätsanspruch verpflichtet.
1961 kam für Georg Kramer dann die Chance, sich mit einem Ladengeschäft in Hamburg selbständig zu machen. In genau diesem Geschäft treffe ich ihn nun also 60 Jahre später und darf mit ihm über Uhren und deren Restaurierung plaudern.
Meister Kramer beherrscht alle Facetten der Uhrmacherkunst, von der manuellen Krümmung der Unruhspirale bis zum Drehen von Zapfen und Wellen. Ist also ein Teil nicht am Markt zu finden, stellt er es selbst her. Dabei verfügt er über beste Beziehungen, so dass er Zugang auch zu den seltensten Originalteilen hat.
Uhrmacher Georg Kramer
Uhrmacher Kramer ist in Hamburg zu einer Art Legende geworden, die Ihren anhaltenden Erfolg der gleichen Prinzipientreue verdankt, die auch den einstigen Genfer Arbeitgeber Rolex auszeichnet. Im Zentrum steht kompromisslose Qualität, die bei jeder Arbeit für zwei Jahre garantiert wird.
Dazu kommen allerdings weitere Prozesse, die die Werkstatt wohltuend abheben. Kostenschätzungen liegen spätestens 2 Wochen nach der Einlieferung vor, ebenso wie eine verlässliche Prognose der Reparaturdauer.
Die aufgerufenen Preise korrelieren dabei nicht mit dem Wert des Werkstückes, sondern richten sich streng nach Zeit- und Materialaufwand. So bleiben kleinere Reparaturen eben auch klein.
Eine weitere sympathische Besonderheit ist die Bereitschaft von Kramer und seines Gesellen Yavuz, Kontakte zu teilen. Es hat sich eine Art Fangemeinschaft gebildet, die Ihre gemeinsame Leidenschaft jährlich im Rahmen einer Oldtimer Rally durch das Alte Land feiert, die dieses Jahr selbstverständlich unter dem Motto des 60-Jährigen Firmenjubiläums von Georg Kramer steht.
Ich bin sicher, ich werde in Zukunft wieder öfter auf Homeleave gehen und habe mir vorgenommen, das Jubiläumsrennen im Mai auf keinen Fall zu verpassen.
Sehr geehrter Herr Dr. Knop,
ein toller Artikel über Uhrmacher Georg Kramer der noch nach guter alter Schule Reparaturen an Vintage (vielleicht auch neue Uhren?) Uhren ausführt. Die heutige gängige Praxis ist leider bei vielen Reparateuren bekannt, wie lange Wartezeiten und kompletter Austausch von Teilen anstatt kleine Reparaturen auszuführen wie im Artikel beschrieben. Vielleicht kommt ja diese Tradition der „kleinen Reparatur“ zurück?
Was für ein wunderschöner Bericht!🙏🏻🍀 Was für eine schöne Reise in die Vergangenheit….
…aber was für ein tragischer Verlust: R.I.P. genialer, verrückter und herzensguter Sezgin Yavuz…..🕯🙏🏻🌟💫
…aber was für ein tragischer Verlust: R.I.P. genialer, verrückter und herzensguter Sezgin Yavuz…..🕯🙏🏻🌟💫